Struktur der Nouvelle Vague

 

Nouvelle Vague – Film- oder Kunstschule?

Der Begriff Nouvelle Vague, der ab 1960 weltweit verwendet wurde, bezeichnet eine Filmschule, die alle Filmkünstler derselben Richtung vereint. Aber handelt es sich wirklich um eine Filmschule?

Nach einer Definition Michel Maries (Professor für Film, Sorbonne Paris) müssen folgende Bedingungen erfüllt sein damit von einer Filmschule gesprochen werden kann:

  1. Eine Doktrin: in diesem Fall die PDA
  2. Ein ästhetisches Programm und eine Strategie:
  3. Ein Manifest: Nachdem 1948 bereits Alexandre Astruc (Naissance d'une nouvelle avant-garde: La caméra stylo) und Éric Rohmer (Le cinéma, l'art de l'espace) zwei bedeutende Texte zur neuen Art des Kinos geschrieben hatten, gilt vor allem François Truffauts Artikel Une certaine tendance du cinéma francais. (1954) als das offizielle Manifest der Nouvelle Vague und als Ausgangspunkt für die “politique des auteurs”.
  4. Werke, welche diese Kriterien erfüllen: beispielsweise Fahrstuhl zum Schafott (1957) und Sie küssten und sie schlugen ihn (1959)
  5. Eine Gruppe Künstler: “rive gauche” und “rive droite”
  6. Unterstützung durch eine Edition:
  7. Unterstützung durch Promotion und Presse:
  8. Ein Anführer bzw. Theoretiker: André Bazin
  9. Gegner: das klassische Kino

Fazit: Fast alle Kriterien sind im Fall der Nouvelle Vague erfüllt.

Wie jede Filmschule hatte auch diese einige Gemeinsamkeiten und Prinzipien. Die Charakteristika der Nouvelle Vague lassen sich vor allem an der Drehweise festmachen: Erst einmal ist der der Autor des Films Regisseur und Szenarist zugleich. Der Dreh findet nicht im Studio statt und auch das Licht ist oft nicht klar, sondern eher schummrig. Statt dem früheren direkten Ton verwenden die Regisseure der Nouvelle Vague einen nachsynchronisierten Ton. Die Schauspieler sollen möglichst viel improvisieren und auf eine “natürliche” Art und Weise spielen. Die Autoren beziehen sich zudem auf frühere Filme der Filmgeschichte (“références cinéphiles”). Auch der Erzählstil ändert sich, da der Schwerpunkt weniger auf der Spannung und mehr auf langen Einstellungen liegt.

Trotz dieser Prinzipien lehnte die Nouvelle Vague jede Form von festgefahrenen Regeln ab und widerlegte die eigenen Regeln nur um innovativ zu sein. Rohmer drehte seinen Film L’Anglaise et le Duc zum Beispiel grade deswegen im Studio.

Die Nouvelle Vague ging auf andere Stilrichtungen, wie beispielsweise den deutschen Expressionismus, den französischen Impressionismus oder den poetischen Realismus zurück.

Die Epoche der Nouvelle Vague wird auf die Zeitspanne zwischen 1959 und 1968 begrenzt. Innerhalb der Filmschule gab es noch unterschiedliche Gruppierungen: Erstens die „Jeunes Turcs“, die Redakteure der Cahiers du Cinéma (s. Unterseite). Zweitens gab es die „groupe rive gauche“ um Alain Resnais, Chris Marker, Agnès Varda, Jacques Demy und die beiden Schriftsteller Duras und Robbe-Grillet. Weitere Untergruppe waren die « précurseurs » (Melville, Rouch, Astruc, Malle, Vadim) und die « Outsider » (Pialat, Eustache, Garrel). Die « continateurs » wurden die folgenden zwei Generationen an Filmemachern bezeichnet, die nach ähnlichen Prinzipien wie die Nouvelle Vague arbeiteten.

Offiziell wird Coup du Berger (1956) von Jacques Rivette als erster Film der Nouvelle Vague betrachtet. Viele Filmkritiker sind der Ansicht, dass die vorhergehenden Kurzfilme – als ein persönliches und engagiertes Kino – der Nouvelle Vague überhaupt erst den Weg geebnet habe. Einer dieser Filme war La Pointe Courte (1954) von Agnès Varda, der somit für viele als der wahre erste Film der Nouvelle Vague gilt, da er bereits die typischen Drehmethoden benutzte.