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Der Antoine-Doinel-Zyklus

 

Der Antoine-Doinel-Zyklus

Zwischen 1958 und 1978 dreht Truffaut vier Filme und einen Kurzfilmbeitrag zu einem Episodenfilm, die alle vom Leben des Antoine Doinel handeln. Doch wer ist diese Figur? Es wird oft gesagt, Antoine Doinel sei das Alter Ego des Regisseurs. Truffaut selbst gibt in mehreren Interviews an, er habe autobiographische Aspekte in die Figur miteinfließen lassen. Antoine Doinel sei aber eine Figur zwischen ihm selbst und dem Schauspieler Jean-Pierre Léaud. Dass Christine Darbon-Doinel, Antoine Doinels Geliebte (Geraubte Küsse), Ehefrau (Tisch und Bett) und spätere Exfrau (Liebe auf der Flucht), die seine beste Freundin wird, von Claude Jade gespielt wird, jener Schauspielerin, die 1968 mit dem 16 Jahre älteren Truffaut verlobt war und ihn im Juni 1968 heiraten sollte – der Pariser Mai und Truffaut selbst sorgten für einen Rückzieher – und die erst Jahre später als Truffauts “dritte Tochter” eine enge Freundin wurde und blieb, trägt zur persönlichen Authenzität der Saga bei.

Inhalte des Zyklus

Für sein Kinodebüt Sie küssten und sie schlugen ihn ließ Truffaut 1958 mehrere Hundert Kinder casten, um den perfekten Antoine Doinel zu finden. So trafen Léaud, der damals 14 Jahre alt war, und der 27jährige Truffaut aufeinander. Einige Jahre später lieferte Truffaut mit Antoine und Colette einen Kurzfilmbeitrag zum internationalen Kurzfilmkollektiv L'amour à 20 ans ab, indem er die Figur des Antoine Doinel wieder aufleben ließ. Antoine war nun keine 13 Jahre mehr alt, sondern ein 17jähriger Jugendlicher, der seine erste Liebe und den ersten Liebeskummer erlebt. Einige Jahre später ist Doinel im dritten Teil Geraubte Küsse ein junger Mann Anfang 20, der verschiedene Jobs annimmt, um sich über Wasser zu halten und in Christine – gespielt von Claude Jade – verliebt ist. Der vierte Teil Tisch und Bett handelt von der jungen Ehe zwischen Antoine und Christine. Nachdem Antoine fremdgegangen ist, trennen sich die beiden kurzeitig, finden jedoch wieder zusammen und erziehen gemeinsam ihren Sohn Alphonse. Der letzte Teil Liebe auf der Flucht greift wiederum Themen der vergangen Filme auf und zeigt in Flashbacks die Genese des Charakters Antoine Doinel. Doinel ist nun Anfang 30, lässt sich mit Christine in beiderseitigem Einvernehmen scheiden und schließt langsam mit seiner Vergangenheit Frieden.

Wer ist Antoine Doinel?

Antoine Doinel ist eine Figur, die sich auf der Suche befindet. Geprägt von der Zurückweisung seiner Mutter und dem Fehlen seines biologischen Vaters sucht Antoine nach einem Halt im Leben. Es sind die Schwiegereltern, die diese Funktion übernehmen. Während Antoine in Antoine und Colette viel Zeit mit Colettes Eltern verbringt, sind es später Christines Eltern, die Antoine unterstützen. Er selbst fasst mehrfach zusammen: “Ich verliebe mich nicht einfach in ein Mädchen, ich verliebe mich in ihre Eltern!” Doch Antoine sucht nicht nur nach einem Ersatz für seine Eltern, er sucht auch nach einem Platz im Leben, den er gerne ausfüllen würde. In den fünf Filmen übernimmt er die verschiedensten Berufe – vom Blumenverläufer über Privatdetektiv bis zum Drucker. Erst im letzten Teil des Zyklus scheint er bereit, sich auf etwas Festeres einzulassen, in der Liebe wie im Beruf.

Neben dem Motiv der Suche präsentiert sich die Flucht als weiteres Leitthema: Antoine flieht vor der Schule, den Eltern, der Armee, einer Prostituierten, seinem neugeborenen Sohn, seiner japanischen Geliebten, der Politik, seiner eigenen Existenz. Einer der Schlüsselszenen aus Geraubte Küsse zeigt Antoine vor einem Spiegel, während er seinen eigenen Namen sowie den von Christine Darbon und Fabienne Tabard stetig wiederholt. Er muss sich selbst beweisen, dass er existiert. Seine Vergangenheit beweist er schließlich durch ein Buch, indem er seine eigene Person beschreibt. Doch auch in der Konfrontation mit der Vergangenheit flieht er: Anstatt sich den Tatsachen zu stellen, flieht er vor seinen eigenen Schwächen und beschönigt sich selbst. Das Desinteresse an der Politik schließlich muss auch als Flucht gedeutet werden. Im Gespräch mit einer Prostituierten begründet er sein politisches Desinteresse mit den Worten, er hasse eben alles, was aufhöre, und die Politik habe nun eben ein Ende. Antoine ist kein Held, er wird von anderen – vor allem von Christine – angeschoben, anstatt selbst etwas zu bewegen.

Erst im letzten Teil des Zyklus, Liebe auf der Flucht, wirkt Antoine zum ersten Mal erwachsen. Er geht zum ersten Mal seit dem Tode seines Mutter an ihr Grab, spricht mit dem damaligen Geliebten der Mutter und arbeitet dauerhaft in einem Beruf. Als es zu Differenzen mit seiner Freundin Sabine kommt, flüchtet er nicht mehr, sondern schickt Christine zu ihr. Am Ende fasst sich ein Herz und spricht sich mit ihr aus.

Persönliche Bezüge

Dass Truffaut und Claude Jade einige Monate ein Paar waren und heiraten wollten, fließt als autobiographischer Aspekt in den Zyklus ein. Der Kosename “Peggy sage”, den Antoine für Christine verwendet, war jener, den Truffaut Claude Jade gab.

Fortsetzung

Truffauts Tochter Eva und die Autorin Élisabeth Butterfly schufen 2004 das Hörspiel “Le journal d'Alphonse”, in der die Hauptcharaktere Antoines Sohn Alphonse und dessen Mutter Christine (die sich wieder Darbon nennt). Antoine selbst wird nur erwähnt. Die Rollen sprachen Claude Jade und Stanislas Merhar.

Weiterführende Informationen

Weiterführende Informationen im Internet

  • Informationseite über den Zyklus (auf französisch)

Quelle