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Coen County

 

Coen County

„Coen County, das ist nicht die beste, sondern meist die unmöglichste aller möglichen Welten1.”

Fargo in Coen County

Die Autoren in Peter Körte und Georg Seeßlen Werkschau2 über die Gebrüder Coen Joel & Ethan Coen beschreiben einen fiktiven Ort namens Coen-County. In diesem fiktiven Ort ist die Handlung der Spielfilme der beiden Hollywood-Antagonisten angelegt. Auch in Fargo - Blutiger Schnee finden sich reihenweise dieser für die Arbeit von Joel Coen und Ethan Coen-typischen Attitüden:

Morde

Die Handlung Fargos ist geprägt von einer Reihe von Morden. Diese sind aber nicht der Höhepunkt einer in dieser Handlung kulminierenden Situation, sondern scheinen einfach zu geschehen. Sie sind nur Rahmenhandlung für die eigentliche Geschichte, die erzählt wird. So bringen die ersten Morde des ungleichen Gangster-Pärchens Carl (Steve Buscemi) und Gaear (Peter Stormare) am Polizisten und den zufällig vorbeifahrenden Jugendlichen die Handlung ins Rollen, indem sie so den Plan Jerrys (William H. Macy) ad absurdum führen.

“Die Morde geschehen nicht so wie Morde in Thrillern, sondern eher so wie in der Wirklichkeit (oder am Ende wie in einem bösen Märchen), und das wesentlichste Merkmal eines Thrillers, nämlich Suspense, fehlt weitgehend.3

Väter

Fargo ist auch bezüglich des Vaterbilds typisch für die Arbeiten der Coen-Brüder: Dabei kämpft Protagonist Jerry nicht gegen seinen eigenen Vater, sondern den Vater seiner Frau Jean (Kristin Rudrüd), seinen Schwiegervater Wade (Harve Presnell) an. Dieser könnte Jerry fördern, der sich seine Loyalität und seine Arbeitskraft schon als Verkäufer in einem seiner Läden bewiesen hat, doch er verweigert dies und gibt ihm zu verstehen, dass er nichts von ihm hält. Selbst als Jerry ihm eine gute Geschäftsidee präsentiert (nicht die erste, wie im Subkontext mitschwingt), will er die lieber selbst umsetzen und speist Jerry mit einer Provision ab, anstatt ihn zu unterstützen.

Seiner Hilflosigkeit gegenüber der Autorität des Schwiegervaters überdrüssig begehrt er gegen diesen auf und will sich seinen scheinbar einzigen Schwachpunkt – seine Tochter Jean – zu Nutze machen. Also riskiert Jerry sein Familienglück, um endlich gegen den Schwiegervater zu punkten und lässt Jean entführen. Das Ende seiner Rebellion ist bekannt: Sowohl Wade, als auch Jean bezahlen Jerrys Plan mit dem Leben und er muss ins Gefängnis (daran besteht eigentlich kein Zweifel, obwohl im Film nicht mehr erzählt wird, dass er tatsächlich gefasst wird).

Männer

Ein immer wieder aufkommendes Element in Coen-Filmen ist die männliche Selbstüberschätzung:

“Die Situationen sind für die Akteure schlicht zu komplex, um sie zu beherrschen; je mehr sie es versuchen, desto näher rückt das Debakel.4

So sucht Jerry den Ausweg aus der (stief-)väterlichen Unterdrückung (s.o.) und scheitert damit grandios, da er sich auf ein Terrain begibt, welches ihm fremd ist und ihn überfordert. So zeigt sich im Lauf des Films, dass sein ganzer Plan wegen diverser Schwächen zum Scheitern verdammt ist. Denn abgesehen von der Unfähgkeit der Auswahl seiner Ausführungsgehilfen, ist Jerry immer wieder in ein Kundengespräch wegen nicht aufgeführter Seriennummern verstrickt. Er hatte gehofft, so den Sierra, den er den Gangstern als Teil des Deals überlassen hat, auf diese Weise verschwinden lassen zu können…

Ähnlich verhält es sich mit der Gewalt. In anderen Filmen wird Gewalt von den Helden genutzt, um die (männliche) Macht zu demonstrieren, womit sie in die Rolle des Agierenden kommen. Bei den Coens wird der Einsatz von Gewalt dagegen als “ein Zeichen der Unfähigkeit, von blanker Ohnmacht und bodenloser Beschränktheit5” eingesetzt.

Frauen

Marge (Frances McDormand) ist wiederum eine, für die Arbeit der Coens typische Protagonistin des Films: Sie hat den Überblick über das Geschehen. Mitten in der Nacht geweckt, analysiert sie die Tat präzise und verbessert dabei scheinbar spielerisch die Fehlannahmen ihrer männlichen Kollegen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass sie den Film letzlich alleine löst, den unberechenbaren Killer Gaear auf frischer Tat ertappt und stellt.

Methode

Die Coen-Brüder verkehren gewohnte Hierarchien: Das in anderen Filmen Wichtige nimmt eine Nebenrolle ein und das sonst Unbedeutende ist bei ihnen die wahre Essenz. Ein Indiz ist beispielsweise der irreführende Titel des Films: Fargo, der einen Ort beschreibt. An diesem Ort trifft sich zwar Jerry mit den beiden Entführern, er hat aber ansonsten für den gesamten weiteren Film keine Bedeutung mehr und ist komplett austauschbar: Eine Methode der Coens, um den Blick auf das Abwegige zu schärfen.6

Oder die Episode um die Rolle Mike (Steve Park): Ein alter Schulfreund Marges (Frances McDormand) nimmt Kontakt mit ihr auf und verabredet sich mit ihr. Während sie annimmt nur einen alten Bekannten zu treffen, interpretiert er das Ganze als Date. Nachdem die Fronten geklärt sind erzählt er ihr er wäre verheiratet gewesen und seine Frau sei gestorben. Was sich später als Lüge herausstellen soll. Aber die Handlung von Fargo wird durch diese Episode in keinster Weise vorangetrieben. Der Dialog der beiden zeigt nur, was die Coens aussparen und was ansonsten in jedem vergleichbaren Film dieses Genres dazugehören würde: Marges Auftritt vor der Presse, um über den Fall zu berichten. Dieses Bild existiert nicht, sondern wird dadurch erzählt, dass Mike berichtet, sie im Fernsehen gesehen zu haben.

Realität vs. Fiktion

In zwei Szenen empfinden Protagonisten die Wirklichkeit als eine Störung der Realität. Jean sieht kurz vor ihrer Entführung konzentriert eine Kochsendung im Fernsehen. Dabei nimmt sie den vermummten Gangster, der sich anschickt, in ihre Wohnung einzubrechen erst im zweiten Moment als Gefahr wahr. In einer zweiten Szene ist Gaear vom blutüberströmten Carl sichtlich genervt, da er ihn beim Fernsehen einer Soap stört, in die er sich gerade vertieft hat. Sein Ausweg: Er erschießt den Kumpan.

Quellen

  • Reinecke, Stefan: Fargo, in: Körte, Peter; Seeßlen, Georg (Hg.): Joel & Ethan Coen, Berlin: Bertz, 2000.

1 Körte, Peter: The Big Lebowski, in: Körte, Peter; Seeßlen, Georg (Hg.): Joel & Ethan Coen, Berlin: Bertz, 2000; S.197

2 Werkschau nennt man einen Überblick über das Gesamtwerk eines Künstlers; Quelle:Duden

3 * Reinecke, Stefan: Fargo, in: Körte, Peter; Seeßlen, Georg (Hg.): Joel & Ethan Coen, Berlin: Bertz, 2000; S.170.

4 ebenda S.172

5 ebenda S.173

6 ebenda, vgl. S.171