Besprechung

Nur wenige Szenen lassen den Zuschauer spüren, dass die literarische Vorlage für Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers von Horror-Schriftsteller Stephen King stammt. In Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers dominiert vielmehr eine lyrische Grundstimmung der autobiographisch gefärbten Geschichte. Einfühlsam wird man von Rob Reiner in die Psyche der jugendlichen Hauptdarsteller versetzt.

Ebenso sensibel führt der Regisseur seine kleinen Darsteller durch dieses sich langsam entwickelnde Abenteuer. Rob Reiner inszeniert die Geschichte der Vier nicht mit hektischer Aktionsbesessenheit, sondern als ruhige, sich langsam entwickelnde Odyssee. Manchmal gerät diese Odyssee ein bisschen in die Nähe von Tom Sawyer, schlägt aber dennoch bemerkenswert individuelle Töne an. Statt des schweißtreibenden Abenteuers, das eigentlich nur einmal beim Überqueren der Eisenbahnbrücke zum Tragen kommt, sucht Rob Reiner die besinnlichen Zwischentöne. Es ist die Stimmung am Lagerfeuer, das sich entwickelnde Verständnis für den anderen oder die Bewusstmachung der familiären Bindungen, die dem Film Tiefe verleihen.

Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers beschreibt eine kurze, zeitlich und räumlich begrenzte Reise. Diese Reise ist als eine Reise zu den Grenzen des eigenen Ichs zu verstehen. Sie ist das Initiationsritual, das der Eingliederung in die Welt der Erwachsenen dient. Zunächst wird der scheinbar robuste Teddy mit den Grenzen seines Ichs konfrontiert. Er gerät außer sich, als der Besitzer des Schrottplatzes seinen Vater beleidigt. Der Draufgänger zeigt sich als verletzliche und selbstlos liebende Person, die verzweifelt, um die fixe Vorstellung des Vaters als Beschützer und Held trauert. Der dicke Vern hingegen wird bloß ein Opfer seiner Körperfülle. Er wird stets, auch als Erwachsener und Familienvater, Kind bleiben. Gordie und Chris machen die vielleicht wichtigste Wandlung in ihrem Leben durch. Sie wissen intuitiv, dass die Tage der unbeschwerten Kindheit bald vorbei sind. Bald wird ein neues Schuljahr beginnen und die Freunde werden sich trennen müssen. Für beide leitet die Suche schon zu Beginn einen Abschied ein. Chris leidet unter den Vorurteilen der Gesellschaft. Er glaubt, bereits jetzt jede Chance im Leben vertan zu haben. Gordies Zuneigung und Verständnis richten ihn auf und geben ihm den entscheidenden Impuls fürs Leben.

Gordie, Hauptperson und Erzähler, macht den größten Entwicklungsprozess durch. Sein Leidensweg bestimmt den Film. Er wird geplagt von den Erinnerungen an den großen Bruder, aus dessen Schatten er sich nicht lösen kann und leidet unter dem Glauben, ein Schwächling zu sein. Gordie wird lernen, sein Leben zu meistern. Am Leichenfundort empfindet er das Wesen des Todes am intensivsten und er ist es, der die Freunde und den Toten mit der Pistole gegen Aces Clique verteidigt. Noch im Zustand der kindlichen Unschuld ist er bereit zu töten. Extremer kann ein Abschied von der Kindheit kaum sein.

Die zunächst recht einfach erscheinenden Stilmittel des Films werden komplexer, berücksichtigt man den erzählerischen Aufbau der Geschichte. In die lange Rückblende sind immer wieder Rückblenden montiert. Diese haben Gordies liebloses Elternhaus und den Tod seines Bruders zum Thema. Der chronologische Fluss der Ereignisse wird zudem von Gordies Erzählung um den ›Blaubeertorten-Fresswettbewerb‹, ein Mini-Film im Film, unterbrochen. Doch das ist noch nicht alles. Immer wieder versieht Gordon als Ich-Erzähler die Geschichte aus dem Off mit einem lakonischen Kommentar, der kindliches Verhalten erklären soll. Damit wird der Fluss der Geschichte ein wenig gebrochen. Darüber hinaus steht dies alles für die Gleichzeitigkeit von erlebter Geschichte und Erinnerung. Ebenso intelligent wie lakonisch ist der endgültige Abschied von der Kindheit, der gleichzeitig wieder der Brückenschlag zur Jetztzeit ist. Gordie und Chris befinden sich auf dem Heimweg. Sie spiegeln sich in der Fensterscheibe eines Friseursalons, das Leben ist nur noch verschwommenes Spiegelbild. Dann geben sich die Kinder noch einmal die Hand. Die Kamera zeigt nicht das Ritual, sondern ruht auf ihren ernsten Gesichtern. Chris entfernt sich, während Gordon, der Erzähler, von seinem sinnlosen Tod berichtet. Gleichzeitig wird das Bild des 13jährigen Chris immer kleiner und schließlich ausgeblendet.

Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers hat nichts mit den üblichen Teenie-Filmen der 1980er Jahre gemeinsam. Kein Wunder, dass im Zeitalter hektischer Video-Clip-Dramaturgie der Film trotz des Markenzeichens Stephen King beinahe keinen Verleih gefunden hätte. Um so erstaunlicher, dass sich Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers dann schnell zu einer Art Kultfilm entwickelt hat. Wie die Jungen in Stephen Kings Kindheitserinnerungen, scheint auch das Publikum ein Bedürfnis nach Verständnis und Zärtlichkeit, anstelle von ewigen Rauf-und Blödelfreundschaften, zu haben.