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Die Grundlage zum Drehbuch

 

Die Grundlage zum Drehbuch

Les Particules Élémentaires

Im Jahr 1998 sorgte der französische Schriftsteller Michel Houellebecq mit seinem Roman Les Particules Élémentaires für einen literarischen Skandal und landete gleichzeitig einen neuen Weltbestseller, der trotz oder gerade wegen seiner offenen Tabubrüche bereits kurz nach seiner Veröffent­li­chung Kultstatus erlangte.

Der Autor

Der Autor wurde 1958 auf der französischen Insel La Réunion geboren und wuchs bei seinen Großeltern in Crécy-La-Chapelle auf. Nachdem er Agraringeneurwesen studiert und als Informatiker gearbeitet hatte, stellte er 1992 mit dem Gedichtband Poursuite Du Bonheur auch sein literarisches Talent unter Beweis und wurde dafür mit dem Prix Tristan Tzara ausgezeichnet. Mit seinem Roman Extension Du Domaine De La Lutte schaffte er 1994 endgültig den Durchbruch. Bereits in diesem Werk begann Houellebecq die Auseinandersetzung mit einer Thematik, die er 1998 mit seinem Roman Les Particules Élémentaires wieder aufgriff: Dem gesellschaftlichen Wandel in der Moderne.

Der Roman

Les Particules Élémentaires spielt zu Beginn des neuen Jahrtausends und beleuchtet die gesellschaftlichen Verhältnisse in der heutigen Zeit.

Anhand der Darstellung von drei Generationen zeichnet Houellebecq das Bild einer handlungs- und beziehungsunfähigen Gesellschaft, die sich “ganz auf Äußerlichkeiten und schnellebigen Lustgewinn fixiert”1 und letztlich an ihrer Oberflächlichkeit zerbricht.

Wie bereits in seinem Roman Extension Du Domaine De La Lutte betrachtet der Autor die Gegenwart als ein Zeitalter der metaphysischen Wandlung. Nachdem bereits die Einführung des Christentums und die moderne Wissenschaft im Mittelalter zur Folge hatten, dass zentrale christliche Werte untergingen und eine zunehmende Individualisierung innerhalb der Gesellschaft erfolgte, erkennt er in der Entwicklung und Anwendung von Gentechnik und Biogenetik in der westlichen Zivilisation die dritte bahnbrechende “metaphysische Revolution” in der Geschichte der Menschheit.

Analyse

Für Houellebecq ist dies das Ende einer Gesellschaft, die mit neugewonnenen Mitteln ihre eigenen Werte zerstört und nunmehr dazu verdammt ist, in sozialer Isolation und sexueller Obsession an ihrer neugewonnenen Freiheit zugrunde zu gehen.

Dabei gilt die Kritik insbesondere auch der 68er-Bewegung und der damit einhergehenden sexuellen Befreiung, durch die die “Zersetzung aller metaphysischen Werte” weiter beschleunigt wurde2. Dies wird im Roman durch die Hippie-Mutter unterstrichen, die durch ihren verantwortungslosen Lebenswandel letztlich zwei beziehungsunfähige Söhne hinterlässt.

Der Zerfall der Familie ist hier Ursprung des Leidens der Protagonisten: Weil sie selbst nie die für die soziale Entwicklung notwendige familiäre Bindung erfahren haben, ist es ihnen selbst unmöglich, entsprechende Bindungen einzugehen. Während Bruno verzweifelt versucht, die Bestätigung und Nähe in sexuellen Handlungen zu finden, geht Michel das Problem mit wissenschaftlichen Mitteln an: Er stellt in Frage, dass es überhaupt einer solchen Nähe bedarf. Die beiden Brüder sind für den Autor daher charakteristisches Symptom einer Gesellschaft, die sich von zentralen Werten wie Familie und Nächstenliebe losgesagt hat.

Auch der Titel enthält eine Anspielung auf die aus der zunehmenden Materialisierung entstehende Zersplitterung der Gesellschaft: Der Mensch als Individuum gleicht immer mehr einem Elementarteilchen, das aus Atomen und Molekülen gesprengt wurde und verzweifelt versucht, eine eigene Zugehörigkeit zu finden3.

Kritiken

Als Moralist zeigt Houellebecq ungeschönt Missstände auf und beschreibt dabei mit teilweise unbarmherziger Präzision die Defizite einer identifikationslosen Gesellschaft. Gleichzeitig prophezeit er einen Zusammenbruch der Menschlichkeit durch die sexuelle Liberalisierung4.

Diese Schonungslosigkeit in der Darstellung der Gesellschaft, in der wir uns heute bewegen, hat ihm zuweilen auch den Ruf eines “Weltbrandstifters” eingebracht5. Allerdings wird die Anstößigkeit des Romans nicht notwendigerweise im Inhalt des Romanes gesehen, sondern vielmehr in der Darstellung der Protagonisten: Durch das hässliche Bild, das Houellebecq von seinen Charakteren zeichnet, wird dem Leser die Möglichkeit genommen, die Leere und das Leid der Protagonisten nachzuempfinden und sich mit ihnen zu identifizieren6.

Während empörte Stimmen dem Autor auch immer wieder Frauenfeindlichkeit, Rassismus und Welthassertum vorwerfen, sehen andere Kritiker in dem Werk ein begründet pessimistisches Bild einer Gesellschaft ohne moralische Prinzipien7.

Teilweise als “Antimoderne Einwände gegen das moderne Leben”8 oder als “Pathologie einer Single-Gesellschaft”9 bezeichnet, wird jedenfalls anhand der hohen Verkaufszahlen des Romans deutlich, wie aktuell die Fragen sind, die Houellebecq mit seinem Werk aufgeworfen hat.

Die Bewertung, ob es sich nun um einen “Seismographen der Gegenwart”10 oder um einen ironisch überspitzten literarischen “Entwurf eines Menschenparks”11 handelt, kann daher nur dem Leser selbst überlassen werden.

Gleiches gilt für die Interpretation der letzten Worte im Roman: “Dieses Buch ist dem Menschen gewidmet.”

Parallelen zu anderen Werken

Parallelen einer moralischen Bewertung der gesellschaftlichen Entwicklung, die die Menschheit des 20. Jahrhunderts als abgestumpft, oberflächlich und trieb- und ferngesteuert darstellen, lassen sich auch in dem von Aldous Huxley verfassten Werk Brave New World, Fritz Zorns Mars oder Albert Camus' Der Erste Mensch finden.

Quellen

1 Der Sieg der Materie über den Geist-Totalitarismus der Artenkontrolle, Rezension von Mechtild Gilzmer vom 8.10.1995 in Freitag

2 Elementarteilchen in der Wikipedia (dt.)

3 Kritik von Dieter Wunderlich

4 Der Sieg der Materie über den Geist-Totalitarismus der Artenkontrolle, Rezension von Mechtild Gilzmer vom 8.10.1995 in Freitag

5 Weidermann Die Generation Z und das Ende dieser Welt. In: Tageszeitung vom 13.10.1999

6 Martina Meister: Rezension in der Frankfurter Rundschau am 13.10.1999

7 Romankritik auf Inkultura-online.de

8 Thomas Steinfeld: Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12.10.1999

9 Romankritik auf single-generation.de

10 Romankritik von Kristian Kißling auf u-lit Literaturmagazin

11 Korrekturen an der Schönen Neuen Welt ausführliche Romanbesprechung von Norbert Niemann auf zeit.de